Eine Rüstung, die in Fetzen hängt

Gestern durfte ich meinem Schmerz begegnen, dass ich mich wertlos fühle. Das Bild, das in dem stillen Moment der Ehrlichkeit und Klarheit in mir auftauchte, zeigte eine Person, die geschwächt, mit eingesunkenen Schultern dastand. Auf wackligen Beinen und den Rücken leicht gekrümmt, sodass die Brust nach innen gewölbt und der Bauch nach innen gezogen war. Der Fokus des Bildes lag auf der Brust. Ich fühlte mich in die Person hineinversetzt bzw. ich nahm innerlich ihre Haltung ein. Von meiner Brust, vor meinem Herzen, spürte ich, wie etwas herabtropfte. Es fühlte sich zäh an aber befreiend. Weil es sich wie aus zähem Material anfühlte, was da abfiel, sah ich eher das Bild von Stoff-Fetzen, die sich aus der Kleidung vor meiner Brust losmachten. Wenn ich mich jetzt in das Bild hineinversetze, scheint überhaupt keine Bewegung in diesem zähen Tropfen oder den Fetzen zu sein. Und irgendwie stört mich das nicht. Es scheint mir weniger, dass sich etwas auflöst und abfließt, als, dass es genügt, dass ich sehen kann, wie zerfleddert diese Kleidung vor meiner Brust ist. Als würde eine Rüstung jetzt in Fetzen hängen, auch, wenn die Rüstung nur aus dünnem Stoff ist. Als hätte ich dem Schmerz, wie einem wilden Tier erlaubt, mit den großen Krallen, einmal über meine Brust zu fahren. Jetzt ist es eher das Gefühl von Erleichterung, dass ich das zugelassen habe. Die Fetzen zeigen es mir deutlich, dass ich das Tier an mich herangelassen habe und nicht gewichen bin. Es ist wie ein Geschenk, diese hängenden Kleiderfetzen und ich trage sie mit mir wie eine Trophäe. Sie erinnern mich an die Wahrheit, an meinen wahren Platz, an meinen wahren Kern.

Der Grund, warum es sich auch anfühlt, als würde etwas Zähes herabtropfen, liegt in der Erleichterung, die durch die Wahrheit kommt. So fühle ich mich, ich trage diesen Schmerz. Statt ihn, wie in den zuvor vergangenen Stunden, nur vage wahrzunehmen, tief vergraben unter allem, sodass er sich nur als diffuse Trauer und als genervte Stimmung zeigen konnte. Die Fetzen machen deutlich, dass ich, hinter dem zerfledderten Kleidungsstück, jetzt weniger tun muss. Ich trage den Abdruck der Klaue vor mir her. Ich bin mutig, ich bin ehrlich, ich bin deutlich wahrnehmbar hinter den Fetzen. Statt dem Biest davon zu laufen oder mich zu verbarrikadieren hinter Gegenständen, die mich verdecken. Versichert, aber unsicher. Unsichtbar. Un-sich. Ohne Verbindung zu sich selbst.