In deiner Präsenz bleiben, auch wenn Gedanken voraus eilen
Gerade dann, wenn man es braucht, tut man es nicht. Zum Beispiel spürend schreiben, in uns hineinhorchen, unsere Intuition befragen. Und so vieles andere, das unserer Seele, unserem Geist, unserem Körper gut tun würde, gelingt uns oft dann nicht zu tun, wenn wir es am meisten brauchen.
Und im Rückblick machen wir uns dann selbst Vorwürfe, dass wir so schlecht für uns selbst gesorgt haben, dass wir doch eigentlich wussten, wie es besser gegangen wäre. Und das regt uns innerlich noch mehr auf. Bringt uns noch mehr von uns selbst weg. Aber es lag nicht daran, dass wir das Gute nicht tun wollten. Oder hätten tun können. Sondern es schien weniger wichtig, weniger wertvoll. Es schien unserem Nervensystem hinderlich in dem Moment.
Wenn wir das nicht für uns selbst tun, was gut für uns ist und uns zu uns selbst zurück bringt - dann deswegen, weil etwas uns so sehr von uns selbst weggeführt hat, dass wir aus der Fassung sind. Unser Fokus richtet sich in solchen Momenten lieber angespannt auf etwas außerhalb von uns selbst.
Ein kommender Termin. Eine große Aufgabe. Ein wichtiges Gespräch. Eine Art Prüfung. Ein Meilenstein, auf den wir stolz sein können, wenn er geschafft ist. Und wir sammeln innerlich all unsere Kräfte. Unsere Kräfte, das sind: Unsere Aufmerksamkeit, unsere Energie, unsere Verbindung zu uns selbst. Und schicken sie immer wieder voran auf dieses Event in der Zukunft. Um bereit zu werden. Um alles im Griff, im Blick zu haben. Um nicht unangenehm überrascht zu werden. Um nicht zu versagen.
Unser Nervensystem sammelt alle inneren Ressourcen zusammen und macht eng für den jetzigen Moment. Der scheint momentan weniger wichtig.
Aber was wir unserem Nervensystem durch stetige Regulation und bewusste Entspannung beibringen dürfen, ist, dass immer der jetzige Moment am wichtigsten ist. Hier sein. In Ruhe. In innerer Verbundenheit. Investiert in unser Wohlbefinden im Hier und Jetzt. Nämlich in die spürbare Sicherheit für unser Nervensystem.
Mittendrin bleiben, während unsere Gedanken weit fort ziehen — was uns von uns selbst trennt und dafür sorgt, dass wir seltsame, ungesunde Entscheidungen treffen.
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Ich zum Beispiel gestern Abend.
Nach einem schönen, langen, sommerlichen Urlaubstag, erinnere ich mich daran welche Aufgaben morgen und in den kommenden Tagen anstehen. Ich spüre die entspannte Müdigkeit des Tages, doch mein System sammelt sich plötzlich, wird bereit für den Angriff der Aufgaben, der kommenden wichtigen Events.
Und ich lege mich aufs Bett, mache sanfte Musik an - und esse ein Schüsselchen Chips. Noch kurz vor dem ersten Biss stoppe ich und höre: Willst du das wirklich tun? Doch die Frage ist leise und meine unbewusst angespannten Nerven können darauf nicht eingehen.
Die laute Antwort: Ja, jetzt hast du die Chips schon vor dir stehen, dann iss sie auch.
Ja, Hunger hatte ich noch. Aber Chips?
Ich esse auf und gleich darauf muss mein Magen so spät noch die Verdauung ankurbeln. Das ist viel für mein System. Mein Herz beginnt seltsam unregelmäßig zu schlagen. Meine Körpertemperatur steigt wieder.
Ja, und so schlafe ich nicht so gut ein und nicht so tief durch.
Was ich schon gelernt habe:
Mir aber währenddessen und am frühen Morgen danach keine Vorwürfe machen. Währenddessen und anschließend, einfach präsent mit mir sein (oder wieder mehr werden).
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Manchmal braucht es auch diese Faux Pas, damit wir wieder wacher werden für unser Hier Sein. Durch verrückte Stolperer lernen wir, wieder genauer hinzuschauen. Spüren wieder auf allen Ebenen: Oh, da war ein Sprung, ein Riss in meiner Präsenz. Da ist mir was total entgangen. Warum war das so? Wann begann es? Wie begann es? Was kam kurz davor? Oder was ging dem schon etwas länger voran? Hat es mich schon eine Weile vernebelt für den Moment und für meine Wahrnehmung?
Und immer mehr werden wir dann fähig/reguliert, in innerlich angespannten Momenten - wo uns alle Gelassenheit, Klarheit, Zentriertheit zu entgleiten scheint - trotzdem zu merken: Nur ein kleiner Schritt ist nötig. Nur meine Entscheidung genau jetzt auch mit mir präsent zu sein, mit meiner Aufmerksamkeit bei mir zu bleiben. Genau jetzt bin ich hier — sowohl ganz da als auch angespannt.
Sodass unser Nervensystem mit der Zeit verinnerlichen kann: Ich habe jetzt gerade die Option, präsent zu sein. Verbunden mit mir zu bleiben, in Sicherheit. Mitten in diesen Gegensätzen.
Und so wachsen wir. Können Gleichzeitigkeit halten. Und mitten im Stress das für uns tun, was gut für uns ist.

