Gleichzeitig da: Ich & Flucht
Ich bin da. So weich und zart und schwebend wie ich gemacht bin, glaube, weiß und möchte ich tief drinnen, dass das genügt. Ich glaube es. Ich weiß es. Und ich wünsche es mir immer noch.
So vieles besteht trotz seiner Gegensätzlichkeit gleichzeitig. In meinen Texten findet sich häufig das Wort ich. Auf meiner Suche dreht sich alles darum, meinem wahren Kern näher zu kommen und ihn direkt nach außen zu zeigen. Gleichzeitig gibt es da diese Gewissheit, dass mein wahrer Kern stets da ist. In jedem Moment schwebend und leuchtend spürbar, wie ein Lichtlein im nebligen Moor. Dem näher zu kommen ist eigentlich unmöglich, indem man stolpernd und haschend hinterher rennt. Es ist wie in einem Märchen, wo die Heldin das Rätsel löst, indem sie nicht wie alle anderen auf die Anstrengung hereinfällt. Sondern ihre Flöte oder sonst ein einfaches, alltägliches Ding hervor holt und es sich gemütlich macht. Mitten im kühlen, feuchten, dunklen Moor nistet sie am Fuße eines Baums und gibt sich dem Moment und ihrem Instrument hin (warum nicht: ihrer inneren Stimme. Oder ihrem Herzschlag oder ihrem Atem. Oder dem Gefühl, gerade ganz im Körper zu sein). Das Lichtlein wird neugierig und schwebt näher heran. Das Menschlein wirkt so friedlich und zufrieden, als hätte es kein Wollen, das es zum Wahnsinn treibt. Ein Menschlein, das ganz da ist, bereit, zuzuhören, zu empfangen, ist wie eine geöffnete Tür zu einem weiten Raum. Es entsteht ein Sog. Es besteht eine Einladung. Die Heldin blickt von ihrem Flötenspiel auf und sieht das Lichtlein direkt vor sich in der Luft. Statt jetzt danach zu greifen, spielt sie weiter, lässt die Melodie ungestört erklingen. Und das Lichtlein kommt näher heran, näher — und schmilzt in die Brust des Menschleins hinein. Von innen erhellt das Lichtlein die Heldin, die, wo sie geht und steht, von nun an das Moor erhellt.
So vieles besteht trotz seiner Gegensätzlichkeit gleichzeitig. Ich schreibe das Wort ich auf der Suche nach meinem wahren Kern. Ich schreibe das Wort ich, weil ich mir meines wahren Selbst ganz bewusst bin. Mit dem Wort ich drehe ich mich um mich. Mit dem Wort ich zeigt sich, dass bereits klar ist, wo ich bin. Hier. Jetzt.
Ich sein. Das war in dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin das gefährlichste, was ich hätte machen können. So fühlte es sich an. Dilemma: Ich möchte mit meinem Business s-ich-tbarer sein — und alles in mir rennt weg. Mein Nervensystem schlägt Alarm, sobald es darum geht, verletzlich, echt und wahrhaftig da zu sein. Und ich? Ich habe auf der Heldinnenreise meiner Selbstfindung und Positionierung den Weg hierher gefunden. Trotz Flucht-Zwang ins Sein. In mein echt da sein. Und direkt beginnt eine neue Lern-Reise: An Ort und Stelle bleiben wie die Heldin im Märchen. Der eigenen Melodie zuhören. Die eigene Seele, das wahre Selbst tief einsinken lassen. Und sitzend, also seiend, hineinwachsen ins gesehen werden. Immer bleibend. Genauso, wie ich bin, weich, zart, schwebend. Ein nervöses Lichtlein im Moor, das leicht zu verscheuchen ist.
So vieles besteht trotz seiner Gegensätzlichkeit gleichzeitig. Drehe ich mich mit solchen Texten um mich selbst, immer noch in der Angst und mitten im Flucht-Impuls? Oder benenne ich den Ort, an dem ich bin? Bin ich mehr oder weniger sichtbar durch solches Schreiben?
Ich fühle, dass es zu mir gehört, so zu schreiben. Und ich fürchte, dass ich dich nicht erreiche, wenn ich so schreibe — was darauf hindeutet, dass ich dann immer noch im Fluchtdreher festhänge.
Gut möglich, dass es immer so bleiben wird. Zwei Gegensätze eng verwoben. Weil es so unendlich lang gedauert hat, sie auseinander zu klauben, in meinem Fall schätzungsweise 35 Jahre. Dass ich es getan habe, darauf bin ich unendlich stolz. Jetzt trage ich die Trophäe vor mir her: Ich bin da. Ich sein genügt. Seiend in Bewegung — seinwärts wachsend — ist Erfolg.